Gleichstrom bis 1968
In der Mühlenstraße 2 in Kyritz sind die Bauten des 1897 in Betrieb genommenen Elektrizitätswerkes stehen geblieben. Der Betrieb war von einem privaten Investor gegründet worden und wurde schon im Jahr 1900 von der Stadt übernommen. Den Strom erzeugte das E-Werk mit Dampfmaschine und Generator, für die dazu gehörende Kesselanlage hatte der Komplex einen hohen Schornstein. Neben der Maschinenhalle von 1897 steht ein wohl Ende der 1920er Jahre errichteter Hochbau mit drei Geschossen, der unter anderem als Bürohaus diente. Sein Bau steht vermutlich in Zusammenhang mit dem Anschluss der Stadt an die „Überlandzentrale“; das entsprechende Umspannwerk befindet sich nicht weit davon entfernt hinter der Stärkefabrik in der Pritzwalker Straße 12. 1929/30 bekam die Stadt übrigens auch eine zentrale Wasserversorgung und eine Kanalisation für das Abwasser.
Der vom Kraftwerk in der Mühlenstraße produzierte Gleichstrom wurde damals nur in der Innenstadt verteilt: So führte vom E-Werk aus ein Kabel zu einem Dachreiter auf dem Hospitalgebäude am Ende der Maxim-Gorki-Straße, von wo aus etliche Leitungen abzweigten.Ender der 1920er Jahre wurde Kyritz über das Umspannwerk im Osten der Stadt an die Überlandstromversorgung angeschlossen, nachdem eine 50-Kilovolt-Leitung vom Kraftwerk Hennigsdorf über Kyritz nach Perleberg gebaut worden war. Dabei hielt Kyritz am Gleichstrom fest: „Im alten E-Werk in der Mühlenstraße wurden drei Gleichrichter installiert, die den Wechselstrom wieder in Gleichstrom umwandelten“, berichtete der Heimatforscher Herbert Brandt. Dafür wurden Kessel, Dampfmaschinen, Generatoren und der Schornstein entfernt und ein Dieselmotorensatz in einem Anbau für die Notstromversorgung aufgestellt; er wurde 1945 von den Sowjets demontiert.
1949 übernahm das Kommunale Wirtschaftsunternehmen (KWV) der Stadt das Kyritzer Elektrizitätswerk. Erst am 20. September 1968 wurde die Anlage dann mit den drei einst in der Halle aufgestellten Quecksilberdampf-Gleichrichtern stillgelegt, weil auch Kyritz nun mit Wechselstrom versorgt wurde. Es war die letzte Stadt in der DDR, bei der dies passierte, berichtete Brandt, der die Umstellung als bauleitender Monteur miterlebt hat. Seine Fünf-Mann-Kolonne musste dafür das gesamte Ortsnetz umbauen. Bei den Kunden wurde der Umbau der Geräte von Gleichstrom auf Wechselstrom zwar zu 50 Prozent finanziell gefördert – dem schon älteren Buchdrucker Grävenitz aber sei dies trotzdem zu teuer gewesen. Um seine Druckmaschine weiter betreiben zu können, baute die Elektriker-Kolonne von Brandt ihm als kleinen Gleichrichter einen mit Drehstrommotor und Gleichstromgenerator selbstgebauten Maschinenumformer ein.
Text: Sven Bardua