Endstation des legendären „Pollo“
In der Rückschau werden Leistung und Beförderungsqualität von Schmalspurbahnen oft belächelt – doch ihre Inbetriebnahme 1897 bedeutete in der Prignitz einen gewaltigen Fortschritt. Denn damals gab es weder Lkw noch Bus, geschweige dass jemand einen eigenen Pkw hatte. Zudem waren die „Straßen“ eher sandig und morastig. Und so blieben die Bahnen mit dem Endbahnhof Kyritz über Jahrzehnte hinweg mit dem täglichen Leben der verstreut „auf dem Land“ lebenden Bevölkerung verbunden – bis von 1967 bis 1971 der schrittweise „Verkehrsträgerwechsel“ stattfand. Nun übernahmen Lkw vom Typ W50 und Busse Ikarus 66 die Dienste der Schmalspurbahn, von vielen einst und heute liebevoll „Pollo“ genannt.
Die unvergessene Bahn halten das 1993 in Lindenberg gegründete Prignitzer Kleinbahnmuseum und die seit 2002 dort südlich von Pritzwalk betriebene Museumsbahn lebendig. Doch auch im einstiegen Endbahnhof Kyritz blieben viele Bauten aus der Kleinbahnzeit erhalten. Direkt gegenüber vom Staatsbahnhof steht noch das wegen seiner Größe unauffällige Empfangsgebäude des Kleinbahnhofs mit dem 1938/39 erbauten Triebwagenschuppen (für die dort eingesetzten Wismarer Schienenbusse) daneben. Und weiter südlich, neben der sehenswerten Fußgängerunterführung zur Staatsbahn, erinnert der Dampflokschuppen an den „Pollo“. Das vermutlich mit der Inbetriebnahme der Kleinbahn errichtete „Heizhaus“ ist etwa 22 mal 10 Meter groß und bot auf zwei Gleisen vier Lokstände, außerdem in Anbauten einen acht Meter hohen Wasserturm sowie Dienst-, Wasch- und Umkleideräume. Erst 2021 ließ die Stadt die beiden Schuppen nach eigenen Angaben baulich sichern, um sie in Zukunft umnutzen zu können.
Am 15. Oktober 1897 hatten die West- und die Ostprignitzer Kreisbahnen gleichzeitig ihre Bahnen von Perleberg nach Hoppenrade sowie von Kyritz nach Hoppenrade mit einem Abzweig in Rehfeld nach Breddin eröffnet. Später wurde das auf 750 Millimeter Spurweite betriebene Netz um die Strecken Viesecke–Kreuzweg–Glöwen (1900), Lindenberg–Pritzwalk (1907/08) und Lindenberg–Kreuzweg (1912) ergänzt. Damit erreichten die schmalspurigen Prignitzer Kleinbahnen eine Streckenlänge von 101 Kilometern.
Vor dem Ersten Weltkrieg erzielte die Kleinbahn von Kyritz nach Hoppenrade/Breddin noch kleine Betriebsüberschüsse, rutschte dann jedoch in die Verlustzone. Doch die Züge fuhren weiter, brachten ihre Fahrgäste zum Einkaufen, zur Schule, zum Arzt oder für eine Fernreise zu einem größeren Bahnhof. Die Güterwaggons brachten Bau- und Brennstoffe oder auch Dünger in die Region, schafften umgekehrt landwirtschaftliche Produkte in großen Mengen in die Städte oder zu den Normalspurbahnhöfen. Dazu zählten beispielsweise auch die Steine des Kalksandsteinwerks in Dannenwalde, das sogar ein Anschlussgleis hatte.
Um das zeit- und personalaufwendige Umladen zu ersparen, bekam der Kleinbahnhof Kyritz schließlich eine Rollwagenanlage, wo Normalspurwaggons umgesetzt und so auf der Schmalspur weiterrollen konnten. Auch eine Bekohlungsanlage, eine Drehscheibe mit fünf Metern Durchmesser, eine große Ladestraße mit einer Reihe von Nebengebäuden gehörten dazu. Doch am 31. Mai 1969 war es so weit: Die Kleinbahn in Kyritz wurde stillgelegt und lebt seitdem in der Erinnerung weiter.
Text: Sven Bardua